Fehlendes Bluteiweiß macht Lungenbläschen schutzlos

Lungenemphysem durch Alpha1-Antitrypsinmangel wird durch Fehler im Erbgut verursacht

Prof. Dr. Helmut Teschler, Dr. Heinz Steveling Ruhrlandklinik Essen

Das Alpha-1-Mangelemphysem beruht auf einer Veränderung des Erbgutes und kann damit an Kinder weitergegeben werden. Betroffen sind deutlich jüngere Menschen als bei den übrigen Emphysemformen. Der Erkrankung liegt eine verminderte Konzentration des Bluteiweißes Alpha-1-Proteinaseinhibitor(PI) oder auch Alpha-1-Antitrypsin(AT) zugrunde. Das Alpha-1-Antitrypsin wird in der Leberzelle produziert und wird bei den Mangelerkrankten nicht in ausreichender Menge von der Leber in das Blut abgegeben. Die Folge sind meist Erkrankungen der Lunge, seltener der Leber.

In Deutschland betrifft diese schwere Mangelform etwa ein bis zwei von 10.000 Einwohnern. Beim überwiegenden Teil der Betroffenen ist die Erkrankung aber entweder nicht bekannt oder wird unter einer anderen Diagnose behandelt. Das AT-Mangelemphysem wurde erstmals 1963 in Schweden beschrieben, als auffiel, dass bei jungen Patienten mit Lungenemphysem regelmäßig eine Eiweißfraktion des Blutes vermindert war. Das AT hat in den Lungenbläschen die Aufgabe, wandandauende Stoffe zu inaktivieren, die insbesondere bei Infekten aus den aktivierten Abwehrzellen des Körpers freigesetzt werden. Das in den Lungenbläschen normalerweise herrschende Gleichgewicht zwischen den so genannten Proteasen und Antiproteasen geht durch den Mangel an AT verloren. Eine wichtige zusätzliche Rolle spielt das Tabakrauchen. Die Inhaltsstoffe im Tabakrauch sind in der Lage, die noch gering vorhandenen Mengen an Antitrypsin zu inaktivieren. Damit ist das zarte System der Lungenbläschen mit seinen dünnen Wänden den aggressiven Stoffen schutzlos ausgeliefert.

Entstehungsursachen: Bei der schwersten Form des Mangels hat der Patient sowohl vom Vater als auch von der Mutter eine fehlerhafte Erbinformation erhalten. Die häufigste Defektform bezeichnet man mit dem Buchstaben Z, die Normalform mit dem Buchstaben M. Der schwergradige Mangel wird als homocygot oder mit dem Kürzel PI-ZZ bezeichnet, die normale Form heißt PI-MM. Ist man Träger nur einer defekten Erbanlage, so bezeichnet man diesen Menschen mit dem Kürzel PI-MZ und nennt ihn heterocygot. Diese Personen haben kein wesentlich erhöhtes Erkrankungsrisiko für die durch den Mangel hervorgerufen Erkrankungen, denn deren Spiegel an AT ist meist nur minimal erniedrigt. Sie können das kranke Z-Gen jedoch an ihre Kinder weitergeben.

Beschwerdebilder: Beim schweren AT-Mangel können bereits Neugeborene erkranken. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine Erkrankung der Lunge, sondern um Störungen der Leber. Erstes Zeichen ist oft eine verlängerte Dauer oder größere Intensität der so genannten Neugeborenengelbsucht. Zu diesen Problemen der Leber kommt es, weil sich das neu gebildete Alpha-1-Antitrypsin in den Leberzellen aufstaut. Die schwerste Form der Leberstörung des Kindes ist die Leberschrumpfung, auch Zirrhose genannt. Sie kann so schwerwiegend sein, dass bereits im Kindesalter eine Lebertransplantation notwendig wird.

Sehr viel häufiger führt der schwere Mangel im Erwachsenenalter zu einer Lungenerkrankung. Es kommt in Verbindung mit Zigarettenrauch zu einer irreversiblen (nicht mehr rückgängig zu machenden) Erweiterung der Lungenbläschen, dem Emphysem. Dabei findet sich als erstes Symptom Atemnot unter körperlicher Belastung. In fast allen Fällen ist gleichzeitig eine chronische Bronchitis vorhanden, die zu Husten und Auswurf führt. Typisch ist auch eine ausgesprochene Empfindlichkeit der Atemwege auf unspezifische Reize wie Stäube, Dämpfe, Gerüche, Kälte und Infekte. Man nennt dieses Phänomen „Bronchiale Hyperreagibilität“. Hierunter leiden viele Patienten und gesunde Träger der fehlerhaften Erbinformation.

Diagnose: Die für den Erwachsenen typische Erkrankung der Lunge erkennt man in den Frühstadien nur durch eine aufwendige Lungenfunktionsprüfung. Das Beschwerdebild wird lange Zeit nicht ernst genug genommen oder primär auf das Rauchen zurückgeführt. Oft denkt der Hausarzt wegen der Atemnot zunächst an Asthma. Körperlicher Befund und Röntgenthoraxbild eines Patienten zu Beginn der Erkrankung sind kaum verändert und helfen bei der frühzeitigen Diagnose kaum. Dagegen ist im fortgeschrittenen Fall das Röntgenthoraxbild ebenso wegweisend wie die Lungenfunktionsprüfung. Infolge der geschilderten Probleme bei der Erkennung der frühen Stadien dauert es nach Auftreten der ersten Beschwerden durchschnittlich etwa fünf Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Dabei ist die Bestimmung des AT-Spiegels im Blut eine einfache, sichere und kostengünstige Untersuchung. Man sollte bei allen Menschen mit Atembeschwerden, die bereits vor dem 45. Lebensjahr auftreten, an diese Erkrankung denken und diese einfache Laboruntersuchung durchführen.

Behandlung: Basis jeder erfolgreichen Behandlung des Alpha-1-Mangelemphysems ist der konsequente Verzicht auf das Rauchen. Diese Maßnahme ist von soüberragender Bedeutung,dass alle Möglichkeiten bis hin zur Teilnahmean professionellen Raucherberatungs- undTabakentwöhnungsprogrammen ausgeschöpftund die gesamte Palette der Nikotinersatztherapien sowie der medikamentösen Unterdrückung der Entzugssymptome durch spezifische Medikamente eingesetzt werden müssen.Auch alle anderen einzuatmenden Schadstoffemüssen gemieden werden. Infekte der oberenund tiefen Atemwege sind konsequent undsehr früh mit einem Antibiotikum zu behandeln, um den Anfall an aggressiven, das Lungengewebe chronisch schädigenden Stoffengering zu halten. Infektvorbeugung durchImpfung gegen Grippe im Herbst und bakterielle Erreger von Lungen-entzündungen wiePneumokokken alle fünf Jahre wird empfohlen.

Die medikamentöse Therapie umfasst die Standardpräparate zur Weitung der Bronchien, lokal anwendbares Kortison zur Entzündungshemmung, in fortgeschrittenen Fällen auch Theophyllin und Kortisontabletten. Schleimlöser sind nur im Zusammenhang mit akuten Atemwegsinfektionen sinnvoll. Eine Optimierung der Hustentechnik ist ebenso wichtig, wie ein regelmäßiges körperliches Training, dessen Intensität sich an der Einschränkung der Lungenfunktion und dem Vorliegen von Komplikationen der Erkrankung (z.B. Sauerstoffmangel, Herzüberlastung) ausrichtet. Im Endstadium der Erkrankung kommt es häufig zu einer fortschreitenden Gewichtsreduktion, die Anlass zur Diätberatung, Steigerung der Kalorienzufuhr und Substitution von Vitaminen (insbesondere A, C und E) sein sollte.

In bestimmten Fällen ist der Ersatz (Substitution) des fehlenden Alpha-l-Antitrypsins durch eine einmal wöchentlich durchzuführende Infusion angezeigt. Die Infusion enthält Alpha-1-Antitrypsin, das aus Fremdblut gewonnen wird. Für die Durchführung dieser Substitutionstherapie gibt es klare Richtlinien. Die Therapie sollte von einem der Alpha-1-Zentren in Deutschland eingeleitet werden.

Wenn bei Patienten mit AT der Sauerstoffgehalt im Blut deutlich abnimmt, muss mit einer Sauerstofflangzeittherapie begonnen werden. Bei bettlägerigen Patienten wird ein Sauerstoffkonzentrator, bei mobilen Patienten dagegen bevorzugt ein Flüssigsauerstoffsystem verordnet. Die operative Emphysembehandlung, die unter dem Begriff der „Lungenvolumenreduktion“ vor einiger Zeit Hoffung für Emphysemkranke zu bedeuten schien, hat sich für die Alpha-1-Kranken als nicht besonders vorteilhaft gezeigt. Gut geeignet sind diese Patienten aber für eine Einzel- oder Doppellungentransplantation.

Was noch zu beachten ist: Die Erkrankunghat ihren Ursprung im Erbgut, also dem genetischen Code im Zellkern,den Vater und Mutter vererbthaben. Ist bei einem Patienten ein homozygoter Mangel entdeckt, so ist zu empfehlen, dass sich seine Verwandten erster Ordnung (Eltern,Geschwister und Kinder)ebenfalls auf das Vorliegendes Mangels untersuchen lassen. Hat man einen Alpha-1-Mangel erkannt, so lässt sich nämlich das Auftreten einer Lungenerkrankung durchvorbeugende Maßnahmen (Rauchverzicht, Berufswahl, Infektbehandlung) verhindern oder zumindest verzögern. Diese Maßnahmen sind hoch wirksam und deshalb allen Betroffenen zu empfehlen. Anzumerken ist, dass private Krankenversicherungen oder Lebensversicherer Menschen mit AT den Abschluss von neuen Verträgen verweigern können, so dass einige Erkrankte mit Alpha-1-Mangel die Entscheidung treffen, den Angehörigen eine solche Untersuchung nicht zu empfehlen.

Für alle schweren Mangelfälle gibt es sowohl ein deutsches wie auch ein internationales Patientenregister. Menschen mit gesichertem Alpha-1-Mangel sollten sich registrieren lassen (Anfragen bitte an die Autorenadresse). Da viele Ärzte keine Erfahrung mit dieser Erkrankung haben, werden zurzeit einige Alpha-1-Zentren in Deutschland neu etabliert, um kompetent Ratschläge zur Erkrankung geben zu können. Es gibt mehrere Selbsthilfegruppen, in denen sich Betroffene bemühen, das Wissen um die Erkrankung zu verbreiten, sich gegenseitig zu unterstützen und insbesondere neu entdeckten „Alphas“ zu helfen, mit der Erkrankung als lebenslangem Begleiter zurecht zu kommen. Sie unterstützen in Fragen der Sozialgesetzgebung wie Krankenversicherung, Rentenversicherung, Rehabilitation und Erwerbsfähigkeit, Versorgungsamt und vieles mehr bis hin zu Therapieverfahren außerhalb der Schulmedizin, Diät und Urlaubsplanung in fortgeschrittenen Stadien. Auch in dieser Hinsicht kann Kontakt über die Autoren (Ruhrlandklinik.de) vermittelt werden.

Es bleibt zu hoffen, dass es durch gezielte Diagnostik gelingt, neben den bekannten 600 Patienten in Deutschland unter den vermutlich 12. 000 noch nicht entdeckten Fällen zumindest solche herauszufinden, denen nach gesicherter Diagnose durch eine gezielte Therapie geholfen werden kann. Fragen zur Registrierung von Patienten mit Alpha-1-Antitrypsinmangel sowie zu Selbsthilfegruppen können gerichtet werden an:

Prof. Dr. Helmut Teschler
Ruhrlandklinik
Tüschener Weg 40
45239 Essen
www.ruhrlandklinik.de
Tel: 0201-433-4003 Fax: 0201-433-1974

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